Über das Bauen von
Energiebeziehungen
Von William Semple
Bilder: Burak Arikan
8. Dezember 2016
Komplexe Vernetzung
Vor kurzem dachte ich darüber nach, wie wir in der westlichen Welt den Energieverbrauch messen, und wie wenig sich diese Messergebnisse auf unseren Verbrauch und unsere Nutzungsmuster auswirken. Unsere gesamte Energiedebatte kreist um die Notwendigkeit, dem Klimawandel entgegenzuwirken, indem wir unseren Energieverbrauch messbar und deutlich senken. Der Klimawandel ist natürlich, genau wie die Minderung unseres Energieverbrauchs, ein komplexes Thema: Ein fein gewobenes Netz, das in viele Richtungen weist. Diese Komplexität fordert uns heraus, schmälert möglicherweise unsere Erfolge und erinnert uns – wenn wir denn bereit sind, sie wahrzunehmen – daran, dass alles auf der Welt miteinander verbunden ist. Verbundenheit hervorzuheben und zu berücksichtigen, entspricht einer sehr buddhistischen Wirklichkeitsauffassung. Es ist eine Sichtweise, die auch viele indigene Völker teilen. Und es entspricht der wissenschaftlichen Realität. Jedes dieser drei Denksysteme (Buddhismus, indigene Weltanschauungen und westliche Wissenschaft) legt Wert auf die Feststellung, dass wir die „Wirklichkeit“ nur erkennen können, wenn wir verstehen, dass Verknüpfungen – also Beziehungen – wesentliche Auswirkungen auf Sachverhalte und Entwicklungen haben.
Allerdings fragte ich mich, ob wir bei dem Versuch, unser Energieproblem zu lösen, zwar die Komplexität der „Energierealität“ und ihre Beziehungen zur Wirtschaft und Gesellschaft betrachten, dabei jedoch genau die Ansätze übersehen haben, die uns weiterbringen könnten. Meine persönliche Erfahrung stellt mich vor die Frage: Können wir eine andere Beziehung zu Energie aufbauen?
Ich bin Architekt und Bauwissenschaftler in Kanada. Meinen Einstieg in die Baubranche hatte ich als Zimmermann. Mein Interesse für Ökologie und Umweltschutz prägt meine Beschäftigung mit energieeffizienten Gebäuden und Solarenergie seit langem. Ich habe zahlreiche Gebäude konstruiert und geprüft, wie gut sie funktionieren. Ich bin bestens vertraut mit Differenzdruck-Testverfahren und Wärmebildkameras, ich kenne mich mit dem Einsatz von Energiemodellen und Gebäudedesign aus. Ich weiß, wie man die Gebäudeleistung nach dem Bau überwacht. Um mein Wissen darüber zu vertiefen, wie sich der Energieverbrauch insbesondere von Gebäuden präzise messen lässt, habe ich die Debatten zur Energiemessung aufmerksam verfolgt. Ausgehend von der jeweiligen Untersuchungsmethodik lassen sich die beiden Hauptlager als „positivistisch“ und „post-positivistisch“ beschreiben. Die Positivisten gehen davon aus, dass sich der Energieverbrauch in einem Haus nur unter kontrollierten Bedingungen wirklich erfassen lässt, also unter simulierten Bedingungen ohne Bewohner. Die Post-Positivisten dagegen vertreten die Meinung, dass die Art, wie Menschen ein Gebäude bewohnen und nutzen, ein wichtiger Faktor ist und daher in der Analyse berücksichtigt werden muss. Beide, so scheint mir, übersehen einen wichtigen Punkt.
Die Bedeutung der Zeit
Eines der wichtigsten Grundprinzipien im Wertesystem indigener Völker lautet: Beziehungen sind bedeutend. Beziehungen bilden in indigenen Gemeinschaften den Bezugsrahmen für alles, ob Arbeit, Verbindungen oder Handlungen. Stößt man neu zu einer Gemeinschaft, um an einem Projekt zu arbeiten, baut man zuallererst Beziehungen auf. Damit knüpft man selbst an die Gemeinschaft an und nimmt eine Stellung in ihr ein, die von diesen neu geknüpften Beziehungen bestimmt ist. Das Wort „Beziehungen“ ist in vielen Sprachen indigener Völker eher Verb als Substantiv. Dieser handlungsbezogene Aspekt beschreibt auch die interaktive, prozesshafte Natur von Beziehungen im indigenen Kontext. „Beziehungen“ und „Prozess“ sind damit ebenso untrennbar wie „Prozess“ und „Ergebnis“.
Die Bedeutung des Zuhörens
Kürzlich las ich Auszüge der Untersuchungsprotokolle zur Entwicklung der MacKenzie Valley Pipeline – ein Bauvorhaben für eine Erdgas-Pipeline, die vom nördlichen Polarkreis bis in den Norden der kanadischen Provinz Alberta verlaufen sollte. Die Untersuchung, bei der die Folgen des Pipeline-Baus auf das Land der Dene ermittelt werden sollten, erfolgte unter dem Vorsitz von und mit Unterstützung durch Richter Thomas Berger. Richter Berger bewies höchstes Feingefühl, als er all diejenigen, die sich in der Sache äußern wollten, persönlich aufsuchte. In Privatwohnungen, Gemeinderäumen und Schulhallen hörte er den Menschen zu. Diese Untersuchung ist das vielleicht herausragendste Beispiel für aktives Zuhören und die Miteinbeziehung des Inputs von indigenen Menschen, das es in Kanada bisher gibt. Leider zeigt diese Tatsache, wie unausgewogen die Beziehung zwischen Kanada und seinen indigenen Einwohnern ist. Richter Berger erklärte:
Wir Kanadier sehen uns als nordisches Volk, also geht die Zukunft des Nordens uns alle an. Es ist unser eigener Hunger nach Öl und Gas, es ist unser Energieverbrauch, die dazu geführt haben, dass es Vorschläge gibt, Öl und Gas aus dem Polarkreis zu beziehen. Es ist gut möglich, dass sich in dem, was im Norden und mit den nordischen Völkern geschieht, zeigt, was für Menschen wir wirklich sind.
Ich beneide Sie nicht, Herr Blair, ich bemitleide Sie. Zwischen uns beiden, Ihnen und mir, findet ein Kampf auf Leben und Tod statt. In Ihren edel ausgestatteten Chefetagen, Ihrem getäfelten Büro, haben Sie den Plan ausgeheckt, mir den Mittelpunkt meines Lebens zu nehmen. Sie rauben mir meine Seele. Indem Sie planen, mein Land zu foltern, foltern Sie mich. Indem Sie sich vornehmen, mein Land zu überfallen, überfallen Sie mich. Sollten Sie mein Land jemals mit einem Graben durchziehen, so schneiden Sie mir direkt ins Fleisch.
Herr Blair, Sie sind wie das Pentagon, das das Abschlachten unschuldiger Vietnamesen plant. Erzählen Sie mir nicht, dass Sie keine Verantwortung an der Zerstörung meiner Nation tragen. Sie sind direkt dafür verantwortlich. Sie sind der General Custer des 20. Jahrhunderts. Sie sind gekommen, um die Nation der Dene zu vernichten. Sie kommen mit Ihren Truppen, um uns niederzumetzeln und das Land zu rauben, das rechtmäßig uns gehört. Sie kommen, um ein Volk auszulöschen, das auf eine 30.000-jährige Geschichte zurückblickt. Und wozu? Für Gasvorräte, die 20 Jahre reichen? Sind Sie wirklich so wahnsinnig?
Die Bedeutung des Landes
In Kanada und anderswo wurde die Ausbeutung von Land während der Kolonialzeit und bis in die Gegenwart durch das Konzept des „Niemandslands“ (lateinisch: terra nullius) gerechtfertigt. Dies ist ein sehr wichtiges Konzept, denn es wurde von Kolonialmächten weltweit dazu genutzt, Land in Besitz zu nehmen, das aus westlicher Sicht unproduktiv war. Die Tatsache, dass es keinen offensichtlich „produktiven” Nutzen hatte, wurde zum Anlass genommen, es als frei verfügbar zu betrachten. Indem es aus westlicher Sicht „produktiv“ gemacht wurde, erhielt es einen Zweck, den es vorher nicht hatte. Die gesamte Wildnis wurde dieser Kategorie „Niemandsland“ zugeordnet und wird es in manchen Teilen der Welt noch heute. Für die Dene und andere indigene Völker ist das Land jedoch weder Wildnis noch Niemandsland, sondern Grundlage ihrer Existenz und Unabhängigkeit. Es ist Nahrungs- und Energiequelle. Es ist ihre Heimat. Das Land ist keine Ware, sondern ein Geschenk des Schöpfers, das sie in Ehren halten und pflegen. In seinem Buch Talking Tools beschreibt Patrick Scott es folgendermaßen: „Bevor die Weißen kamen, war die Vorstellung, Land zu besitzen, den Aborigines fremd. Das Konzept, dass ihnen dieses Land gehören könne, war für sie unverständlich, und sie waren fest davon überzeugt, dass sie eins mit dem Land seien, das ihnen zur gemeinschaftlichen Nutzung und zum Wohl aller Lebewesen anvertraut war.”
Das Sieben-Generationen-Denken
Lassen Sie mich zusammenfassen was ich von indigenen Völkern gelernt habe: über Beziehungen zum Land, langfristiges Denken und Rituale als Zeichensetzung im Bauprozess. Zunächst denke ich, dass es wichtig ist, die Sieben-Generationen-Perspektive in all unseren Entscheidungsprozessen zu berücksichtigen. Das ist vielleicht eine der bedeutendsten Veränderungen, die sich auf all unser Tun auswirken kann. Es würde uns zwingen, aus der Vergangenheit zu lernen, die Gegenwart zu verstehen und sorgfältig mit der Zukunft umzugehen. Wir würden damit auch wirksam sicherstellen, dass die Stimmen aller Betroffenen gehört werden. Wir müssen nicht nur unsere Umwelt – unser Land – und unsere Beziehung zu unserem Land heilen, sondern auch unsere Beziehungen zueinander. Es bedeutet, dass wir lernen zuzuhören. Es bedeutet, die Standpunkte und Ansichten anderer zu respektieren. Es bedeutet, dass wir lernen müssen, einen Konsens zu finden.
William Semple ist Architekt und Berater bei NORDEC Consulting & Design. Bevor er seine eigene Firma gründete, war er leitender Forscher bei der Sustainable Housing Group der Canada Mortgage and Housing Corporation. Derzeit arbeitet er mit mehreren Initiativen an der Untersuchung und Entwicklung von ökologischen Wohnungsbau-Projekten für den Norden Kanadas und die Polarkreis-Region. In seiner aktuellen Funktion arbeitet er u.a. im Vorstand des Cold Climate Housing Research Centers in Fairbanks, für die indigene Task Force des kanadischen Royal Architecture Instituts und widmet sich in seiner Doktorarbeit an der Universität Alberta der Adaption von Architektur- und Designprozessen speziell für die Nutzung durch indigene Gemeinschaften.